Mittwoch, 29. Juli 2015

Unschuld

Eine Palmlilie in unserem Garten; die Sonne blinzelt durch die Blüten. Die weißen, kelchförmigen Blüten leuchten hell. Sie vermitteln durch ihre Farbe und ihr Leuchten den Eindruck von Sorglosigkeit, neuem Leben und von Unschuld. Aber auch von Hässlichkeit und Vergänglichkeit, wenn die Lilie abgeblüht hat.
 
Definieren wir Unschuld als grundlegende Eigenschaft:
Wann verliert dann der Mensch seine Unschuld? Dann, wenn ein kleines Kind das erste Mal bewusst lügt? Oder schon dann, wenn das Kind von einem unbekannten Menschen angeschaut wird und es dann weint? Ich denke weder bei der ersten Lüge, noch beim Unbekannten. Vielleicht kommt ein Kind gar nicht unschuldig auf die Welt?

Wann verliert dann ein Volk seine Unschuld? Dann, wenn sich unterschiedliche Gesellschaftsschichten bilden? Oder schon dann, wenn Geschlechter unterschiedliche Stellungen haben? Ich denke weder bei den Gesellschaftsschichten, noch bei der Geschlechterstellung. Vielleicht aber bereits dann, wenn Menschen Wertigkeiten erkennen wollen und diese anwenden?

Wann verlieren dann die Bewohner der Erde ihre Unschuld? Dann, wenn sie sich gegenseitig bekriegen? Oder schon dann, wenn sich Menschen gegenseitig in Klassen einteilen? Ich denke weder wenn sie sich bekriegen, noch in Klassen einteilen. Vielleicht aber bereits dann, wenn sie sich gegen die Erde wenden?

Wann verlieren dann Staaten ihre Unschuld? Dann, wenn sich Staaten gegen ihre eigene Bevölkerung wenden? Oder schon dann, wenn Menschen aus einem anderen Staat nicht als gleichwertig betrachtet werden? Ich denke weder wenn der Staat sich gegen sein eigenes Volk wendet, noch wenn Fremde diskriminiert werden. Vielleicht aber bereits dann, wenn Bevölkerung und Verantwortliche im Staat nur an so etwas denken?

Wann verliert dann Unschuld die Unschuld? Dann, wenn es nur noch Schuld gibt? Oder schon dann, wenn wir das erste Mal erkennen, dass es ohne Schuld keine Unschuld geben kann?

Montag, 20. Juli 2015

Einsamkeit

Ein kahl gewordener Baum steht auf einer Lichtung. Er ist von gesunden und starken Bäumen umringt. Wenn wir versuchen, uns ein wenig in den kahlen Baum hinein zu denken, wird er sich auf der Lichtung sicherlich einsam fühlen.

Spielen wir das Spiel weiter:

Der Baum ist kahl, krank, ja man könnte ihn auch hässlich bezeichnen. Rings um ihn gesunde, potente, vielleicht jüngere Bäume. Macht Alter und fehlende Kraft einsam?

Der Baum steht abseits der anderen. Andere Bäume sind in seiner direkten Nachbarschaft scheinbar nie gewachsen. Vielleicht hat er sie aber auch nicht wachsen lassen und damit getötet. Macht Einsamkeit stark oder starr?

Der Baum ist umringt von anderen, gesunden, vielleicht jüngeren Bäumen. Es scheint, als drängen ihn die jungen, gesunden Bäume in die Enge. Sie sind die Mehrheit, sie haben das Sagen! Kennen Mehrheiten Einsamkeit?

Die den Kahlen umringenden Bäume gehören verschiedenen Gattungen an. Laub- und Nadelbäume leben gut in Nachbarschaft zusammen. Ist der Kahle einsam, weil er anders ist?

Der kahle Baum hat seinen Reichtum verloren, seine Blätter und Blüten bzw. seine Nadeln und Zapfen. Die Gruppe um ihn herum steht noch voll in der Kraft des Lebens und ist reich an Nadeln, Zapfen, Blätter und Blüten. Macht Armut einsam?

Ein anderer, viel kleinerer Baum versucht direkt neben ihm zu wachsen und zu gedeihen. Irgendwann wird er den Platz des Kahlen einnehmen. Er wird stärker werden als der alte Baum und ihn vielleicht sogar fällen. Führt dann Stärke zur Einsamkeit?

Ein zweiter kahler Baum ist zu sehen, er steht quasi mitten in der Gruppe der gesunden Bäume. Die sehen ihn nicht als krank und hässlich, sondern als Mitglied der Gruppe; er ist angepasst. Hilft angepasst sein, gegen Einsamkeit?

Spielende!

Mittwoch, 8. Juli 2015

Hoch hinaus

Zwei Königskerzen strecken sich dem Himmel entgegen. So hohe hatten wir glaube ich, schon lange nicht mehr. Die Vordere der beiden hat mehrere, kleine und einen zentralen großen langen Blütenstiel. Bei der Hinteren hat sich der zentrale Blütenstiel zum "S" verformt. Warum? Er wollte doch auch hoch hinaus?
Oder erkennen Pflanzen doch, dass es stärkere Pflanzen gibt, denen man den Vortritt lassen sollte? Die wiederum dann höher wachsen und besser zur Vermehrung der Art beitragen, als vermeintlich schwächere Pflanzen. Faszinierendes passiert für den Langzeitbeobachter. Was nutzt es der vermeintlich kleineren Pflanze aber, wenn sie einer angeblich stärkeren den Vortritt lässt? Ursprünglich wollten doch beide Königskerzen hoch hinaus!

Und wir, wollen wir nicht auch immer hoch hinaus, immer höher? Wollen wir nicht auch an der Spitze sein, der Beste, der Größte? Macht das aber immer Sinn? Oder ist es nicht manchmal wirklich besser, anderen der Vortritt zu lassen um dann aber ein gesetztes Ziel ruhiger, weniger hektisch und gestresst zu erreichen?

Und Firmen, wollen die nicht auch hoch hinaus, immer höher? Sie müssen sogar, sie sind im Sog der Konkurrenz gefangen und wir mit Ihnen. Firmen werden immer größer, wer nicht mitmacht oder es nicht schafft, geht unter. Aber ist untergehen, scheitern nicht manchmal besser? Sich neu aufzustellen, vielleicht mit anderen Vorzeichen und weniger erfolgsgierig bringt vielleicht eine langfristig bessere Lage.

Und Politiker wollen hoch hinaus, ganz nach oben! Dafür müssen sie gegenüber anderen Politiker die Armen spreizen und ihren Wählern alles versprechen, wenig halten und auf keinen Fall die ganze Wahrheit sagen. Wären Politiker mit ehrlicher, transparenter Politik nicht die besseren? Scheinbar nicht, Ihnen wird augenscheinlich durch Lobbyarbeit vieles verwehrt. Lohnt es dann, als Politiker hoch hinaus zu wollen?

Und Staaten und Länder wollen hoch hinaus, immer höher? Wenn Staaten, Staatengebilde und Länder hoch hinaus wollen, denken wir meist nichts Gutes. Wenn Staaten über andere herrschen und ihnen vorschreiben, was zu tun ist, nennt man das Unterdrückung, manchmal aber auch Hilfe. Sollen Länder dringend notwendige Hilfe annehmen und wollen dies nicht, sondern etwas ganz anderes, nennen manchen das Erpressung oder Aufstand. Manche Staatengebilde bestehen zu großen Teilen aus Unterdrückung, Hilfe, Erpressung und Aufstand. Wäre hier eine Neuaufstellung sinnvoll? Dann könnten alle Länder hoch hinaus?

Und wir? Wollen wir trotzdem hoch hinaus? Oder ist es nicht besser, sich manchmal auch darüber Gedanken zu machen?